Christfluencer: Zwischen Hashtag-Himmel und harter Ideologie

Christfluencer:innen begeistern Hunderttausende online und verbinden Bibelverse mit Lifestyle und klaren Regeln fürs Leben.

9 Min.

© Josh Applegate

Sie predigen Glaube, Liebe, Hoffnung – und klare Regeln fürs eigene Leben. Christfluencer:innen erreichen hunderttausende Follower:innen mit Bibelversen im Pastell-Look. Zwischen Glaubensbotschaft und Merch-Shop: Wo endet Spiritualität und wo beginnt Ideologie?

Christfluencer: Zwischen Hashtag-Himmel und harter Ideologie
© Unsplash/ collabstr

Ein ruhiges Klavierstück, weiches Licht, eine Hand, die eine Bibel aufschlägt. Dazu ein Untertitel: „Jesus First, Coffee Second: Warum Gott will, dass Frauen zu Hause bleiben.“ Kein Gottesdienst, keine Kirchenbank – sondern ein TikTok-Clip mit über 300.000 Views. Willkommen in der Welt der Christfluencer:innen.

Religion als Lifestyleprodukt.

Was auf den ersten Blick wie harmlose Alltagsmomente wirkt, ist oft eine sorgfältig kuratierte Mischung aus Glaubensbotschaften, persönlicher Bekehrungsgeschichte und Social-Media-Ästhetik. Christfluencer:innen, ein Kunstwort aus „Christ“ und „Influencer“, inszenieren, verbreiten und vermarkten ihren Glauben über Instagram, TikTok und Co. Das Phänomen stammt ursprünglich aus den USA, wo evangelikale Content Creator:innen seit Jahren ein Millionenpublikum erreichen, und hat inzwischen auch im deutschsprachigen Raum Fuß gefasst.

Zwischen Kirche und Klicks

Zu den bekanntesten deutschsprachigen Vertreter:innen gehören Jana Highholder oder Jasmin Friesen alias „Liebe zur Bibel“. Sie kombinieren evangelikal geprägten Glauben mit einem strikt konservativen Weltbild: Keuschheit vor der Ehe, klare Geschlechterrollen, die Unterordnung der Frau und eine deutliche Ablehnung von LGBTQIA+-Rechten, Feminismus und Abtreibung. Bibelstellen werden selektiv zitiert, um diese Positionen zu begründen, und ein patriarchales Familienmodell wird als gottgewollt dargestellt. Sie sind Teil der „Purity Culture“, einer aus den USA stammenden Bewegung, die Keuschheit und heteronormative Ehe zum Kern der christlichen Identität erhebt.

Glaubensfrage

Doch warum übt diese Mischung aus spiritueller Botschaft und Instagram-Ästhetik eine solche Anziehungskraft aus – gerade auf eine Generation, in der immer mehr junge Menschen aus der Kirche austreten? Und wo verläuft die Linie zwischen echter Glaubensvermittlung und politischer Ideologie? Religionssoziologin Kristina Stoeckl hat uns erklärt, warum diese Inhalte so erfolgreich sind und welche gesellschaftlichen Chancen und Risiken sie im Phänomen Christfluencer:innen erkennt.

Christfluencer:innen erreichen auf Instagram und TikTok ein riesiges Publikum. Warum sprechen gerade sie so viele junge Menschen an, obwohl sich diese eigentlich zunehmend von der Kirche abwenden?

Kristina Stoeckl: Die Religionssoziologie stellt seit jeher fest, dass in den europäischen Gesellschaften zwar die verkirchlichte Form der Religiosität abnimmt, das Bedürfnis der Menschen nach Spiritualität und Sinn jedoch ungebrochen hoch ist. Influencer:innen bedienen dieses Bedürfnis nach Sinn und spirituellen Inhalten in einer Sprache, die junge Menschen, die sich viel auf Social Media bewegen, erreicht.

Welche Rolle spielt die Ästhetik ihrer Auftritte auf Social Media?

Die Ästhetik des Auftritts spielt eine sehr große Rolle. Meistens strahlen die geposteten Inhalte Ruhe aus, auch die Farben sind in der Regel gedämpft, die Schnitte langsam. Die Form der Darstellung unterscheidet sich also recht stark von den üblichen schnellen, grellen TikTok-Inhalten. Dazu kommt die persönliche, biografische Erzählung, die auf die Zuschauer:innen authentisch wirkt.

Wie beeinflussen soziale Medien die Vermittlung religiöser Inhalte und welche Chancen und Herausforderungen entstehen dadurch?

Christfluencer:innen verbreiten in erster Linie eine Erzählung von einer persönlichen, gelebten Religiosität, die sich in einem geordneten, als positiv wahrgenommenen Alltagsverhalten widerspiegelt. Es geht stark um Religion als Lifestyle. Für Kirchen, die massiv unter Mitgliederschwund leiden, besteht durchaus die Chance, Menschen auf diese Art und Weise über Social Media neu anzusprechen. Religion als Lifestyle transportiert allerdings noch keine religiösen Inhalte, also keine religiösen Lehr- und Glaubenssätze.

Kristina Stoeckl
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Einige Christfluencer:innen greifen gezielt politische Botschaften aus dem rechten Spektrum auf oder kooperieren mit rechtspopulistischen Persönlichkeiten. Sehen Sie inhaltliche oder strategische Überschneidungen zwischen diesen religiösen Akteur:innen und rechten politischen Bewegungen?

Es gibt in vielen Fällen inhaltliche und strategische Überschneidungen zwischen rechten politischen Bewegungen und der religiösen Social-Media-Sphäre. Die beiden Bereiche bestärken sich gegenseitig. Rechte politische Bewegungen haben seit geraumer Zeit das konservative Christentum als Resonanzraum für ihre antiliberale und antimuslimische, gegen Migration gerichtete Botschaft erschlossen. Christliche Social-Media-Stars füllen diesen Raum mit konkreten Inhalten: Zum Beispiel für Frauen das Dasein als Hausfrau und Mutter mehrerer Kinder, für Männer die Rolle des Ernährers und autoritären Vaters. Dabei ist es mir wichtig darauf hinzuweisen, dass ein konservativer christlicher Lebensstil nicht automatisch in das rechtspopulistische politische Lager fällt oder führt. Das ist nur dann der Fall, wenn es gleichzeitig zur Ausgrenzung und Abwertung von anderen kommt – von andersgläubigen oder nichtgläubigen Menschen oder von homosexuellen Menschen. Problematisch wird es auch, wenn die Demokratie zugunsten einer biblischen oder „natürlichen“ Ordnung abgewertet wird, mit vermeintlich gottgewollten Hierarchien und Machtverhältnissen.

Viele dieser Accounts vertreten ein sehr klassisches Rollenbild, wie etwa die Vorstellung, dass Frauen sich Männern unterordnen sollen. Wird hier aus Ihrer Sicht biblischer Inhalt selektiv genutzt, um ein bestimmtes, patriarchales Familienmodell zu rechtfertigen?

Es stimmt, dass viele dieser Accounts das klassische Rollenbild der heterosexuellen Kernfamilie zelebrieren. Im Christentum gibt es eigentlich von Anbeginn zwei Sichtweisen auf die Familie: Einerseits ist sie Mittel zu einer christlichen Lebensführung, andererseits aber der Ort, mit dem der religiöse Mensch brechen muss, um den Glauben ganz und gar zu verwirklichen – denken Sie z. B. an den Heiligen Franziskus von Assisi. Den Gegensatz von Ehe & Familie und asketischer Lebensführung als Nonne, Mönch oder Eremit gibt es im orthodoxen Christentum und im Katholizismus. Im Protestantismus wird die Familie als Ort der religiösen Lebensführung stark aufgewertet, das prosperierende, „gottgefällige“ Familienleben wird zum Gnadenzeichen. Insofern könnte man bei vielen der Christfluencer:innen von einer „Protestantisierung“ sprechen, selbst wenn sie katholisch oder orthodox sind.

Und warum wirken solche traditionellen Geschlechtervorstellungen oder die „Rückbesinnung auf traditionelle Werte“ gerade auf junge Frauen heute wieder anziehend?

Ich könnte jetzt eine ganze Reihe von Studien zitieren, die nahelegen, dass junge Frauen (und auch junge Männer) sehr gut verstehen, wie groß die Doppelbelastung durch Beruf und Familie ist, und sie daher nach anderen Modellen suchen. Meines Erachtens fehlen uns aber noch die Zahlen, auf deren Basis wir sagen könnten, dass die traditionellen Geschlechtervorstellungen, die von einigen Christfluencer:innen transportiert werden, auch tatsächlich zu einem breiten gesellschaftlichen Wandel führen.

Einige Christfluencer:innen verkaufen auch Bibeln, eigene Mode oder Onlinekurse. Ist das für Sie eher ein Ausdruck moderner Mission oder doch ein Geschäftsmodell?

Das ist ein Geschäftsmodell – und oft wahrscheinlich der eigentliche Kern der Marke „Christfluencer“. Die Personen, die ihren christlichen Lebenswandel im Internet inszenieren und Tipps an Follower:innen verbreiten, es ihnen nachzutun, gehen einer Erwerbstätigkeit nach. Sie verdienen Geld durch Onlineverkäufe und Werbung. In dem Sinn unterscheiden sie sich nicht von Beauty-, Fitness- oder anderen Online-Werbepersönlichkeiten.

Viele Menschen suchen nach Sinn, Halt und einem Gefühl von Zugehörigkeit. Können christliche Online-Formate, trotz mancher Kritik, auch einen positiven Beitrag zu Gemeinschaft und Orientierung leisten?

Durchaus. Wie bereits erwähnt, religiöse Online-Formate füllen ein Bedürfnis nach Spiritualität und Sinn. Sie können Menschen, die bisher kaum Kontakt zu organisierter Religion hatten, wieder für Kirche und christliche Gemeinschaft interessieren. Als Religionssoziologin bin ich allerdings noch nicht davon überzeugt, dass der aktuelle Hype um Christfluencer:innen wirklich eine Trendwende der Säkularisierung und Entkirchlichung darstellt – oder ob es sich nicht einfach um eine Weiterentwicklung der in der Forschung bereits seit mehreren Jahrzehnten bekannten „Do-it-yourself-Religion“ handelt, nur diesmal eben mit christlichen Versatzstücken.

© Unsplash/ Dmytro Koplyk

EIN CHRISTFLUENCER ERZÄHLT

Bruder René Dorer ist Franziskaner, Priester und Religionspädagoge und lebt bei den Franziskanern in Schwaz.

Was hat Sie vor vielen Jahren dazu bewegt, ihr erstes YouTube-Video zu veröffentlichen?

René Dorer: 2008 meinte mein Cousin zu mir, man sollte die damals noch neue Plattform YouTube nutzen, um gute Inhalte zu teilen. Da ich ohnehin viel Zeit und Mühe in meine Predigten investierte, habe ich angefangen, diese hochzuladen. Seither haben sich die Formate verändert, heute bin ich auf verschiedensten Plattformen aktiv.

Wie lautet Ihre zentrale Botschaft?

Ich möchte zeigen, wie wertvoll Gemeinschaft, Bewegung und Naturerlebnisse sind – etwa mit meinen Bergvideos. Manchmal nehme ich auch kritisch Stellung zu aktuellen gesellschaftlichen Themen. Ein zentrales Anliegen ist es aber, Menschen einzuladen, sich an Jesus zu orientieren, im Gebet Vertrauen zu fassen und zu entdecken, dass es erfüllend sein kann, Priester und Ordensmann zu sein.

Folgen Sie einer bestimmten Social-Media-Strategie?

Wenn man so will, besteht sie darin, von meinen Erfahrungen zu erzählen: als Priester, Ordensmann, Schulseelsorger, Religionspädagoge und Bergführer. Außerdem veröffentliche ich regelmäßig Kerngedanken zum Sonntagsevangelium. Die Resonanz in den Aufrufzahlen zeigt mir, welche Formate besonders gut ankommen – das beeinflusst, wie ich weiterarbeite.

Wird der Glaube durch „Christfluencing“ zur Show?

Ich glaube, die meisten ‚Christfluencer‘ haben eine ehrliche Motivation: den Glauben an Jesus weiterzugeben. Um Aufmerksamkeit zu gewinnen, braucht es und einen gewissen Unterhaltungswert. Dabei wird die Darstellung schon mal allzu sehr zu Show oder Selbstdarstellung.

Gleichberechtigung oder LGBTQIA+-Rechte sind jungen Menschen wichtig. Wie lassen sich diese Werte mit Ihrem Glauben vereinbaren?

Männer und Frauen sind geliebte Geschöpfe Gottes und haben die gleiche Würde. Was LGBTQ+ betrifft, betont die Kirche vor allem den Respekt vor jedem Menschen, unabhängig vom Selbstverständnis. Niemand darf diskriminiert werden. Gleichzeitig äußert sich der Vatikan kritisch zu manchen Prinzipien der LGBTQ+-Bewegung.

Angenommen, Jesus würde auf Instagram predigen – würde er alle Menschen gleich ansprechen?

Ganz sicher. Jesus ist für alle Menschen gekommen, er hat für alle sein Leben gegeben. Gleichzeitig würde er uns alle zur Umkehr rufen: weg vom Bösen, hin zu Gott.

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Mehr zur Autorin dieses Beitrags:

© Birgit Pichler

Tjara-Marie Boine ist Redakteurin für die Ressorts Business, Leben und Kultur. Ihr Herz schlägt für Katzen, Kaffee und Kuchen. Sie ist ein echter Bücherwurm und die erste Ansprechpartnerin im Team, wenn es um Themen wie Feminismus und Gleichberechtigung geht.

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