© Theresa Wey
Stutenbissigkeit, Queen-Bee-Effekt und Zickenkrieg – vom Missbrauch des Naturbegriffs und wie wir uns von unserer eigenen Wahrnehmung austricksen lassen. Das Gebot der Stunde: „Solidarity, Sisters!“
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Es beginnt mit der Geburt. – Nona, wirst du jetzt denken. Nur ist an dieser Stelle nicht einfach das Wunder Leben per se gemeint, sondern die Zuordnung zu einem Geschlecht und zwar als All-inclusive-Package. „Man ordnet mit dem Geschlecht sofort Eigenschaften zu, mit der Person selbst hat das nichts zu tun. Wenn es nun heißt, Frauen sind stutenbissig, was wäre das männliche Pendant dazu?“, stellt Katja Grafl die quasi rhetorische Frage.
„Durchsetzungsfähig würde man bei Männern sagen“, merkt Natalie Atzenberger an. „Oder der geile Hengst?“, lacht Sibel Ada. Das Trio gehört zum aktuellen Vorstandsteam von „The:Sorority“, jener Wiener Plattform, die sich zum Ziel setzt, Frauen und als Frauen gelesene Personen zu vernetzen und zu fördern.
Der intersektional feministische Verein feiert heuer sein zehnjähriges Bestehen und wurde „als Gegengewicht zu männlichen Seilschaften gegründet, das Motto: ,Solidarity, Sisters!‘“, sagt Katja Grafl. Das Jubiläums-„Feministival“ ist für November geplant; allein im Vorjahr stellte der fast ausschließlich ehrenamtlich tätige Verein mehr als 60 Veranstaltungen auf die Beine.
„The:Sorority“ gab schon 2018 ein fundiertes wie pointiertes feministisches Buch heraus, an Aktualität hat es (leider) nichts eingebüßt: „No More Bullshit. Das Handbuch gegen sexistische Stammtischweisheiten“. Je mehr man in die Arbeit des Vereins eintaucht, umso mehr fühlt sich die Interviewanfrage nach dünnem Eis und Provokation an: „Zickenkrieg, Queen-Bee-Effekt und Stutenbissigkeit – alles Mythos oder gibt es einen wahren Kern?“ – Das Eis hält zum Glück, mit drei Expertinnen des Sorority-Boards, des bewusst sehr divers zusammengestellten Vorstandsteams, treffen wir uns zum Austausch: Katja Grafls Grundberuf ist Sozialarbeiterin, sie studierte Politikwissenschaft mit Fokus auf Gender, eine der vielen Facetten ihrer Expertise ist gendersensible Pädagogik.
Sibel Ada macht gerade ihren Ph.D. (Doktorat) in Neurowissenschaft an der MedUni Wien und arbeitet im Medical Team eines Pharmaunternehmens. Natalie Atzenberger studierte Politikwissenschaft und internationale Entwicklung und ist Koordinatorin für Gleichberechtigung, Diversität und Inklusion bei einem österreichischen Baukonzern.
Der fatale Bestätigungsfehler
Für sie ist die Sache völlig klar: „Dass Frauen untereinander nicht solidarisch sind, ist eine patriarchale Erzählung, um davon abzulenken, dass die eigentliche Gefahr für Frauen nicht andere Frauen sind, sondern das System. Die Personen, die verhindern, dass Frauen aufsteigen, Posten bekommen und in Entscheidungsgremien sind, das sieht man beispielsweise bei Führungspositionen oder Gender Pay Gap.“ Die typischen Zuschreibungen wie „zickig“ hören Mädchen schon mit zwölf, sagt Natalie Atzenberger, und jedes Mal, wenn sich eine Frau unsolidarisch verhält, werden die Zuschreibungen bestätigt und größer.
Das passiere auch, weil einerseits ebenso Frauen Teil der patriarchalen Logik sind und andererseits auch Frauen einander unsympathisch finden können. Verhält sich ein Mann unsolidarisch, passiert nichts, sagt Atzenberger; verhält sich eine Frau solidarisch, ist das nicht so viel wert. „Wenn man Mädchen von Anfang an sagen würde, Frauen sind untereinander total solidarisch, wäre diese vermeintlich objektive Wahrnehmung ganz anders.“
In der Wissenschaft nennt man das Bestätigungsfehler; Studien müssen genau deswegen „doppelblind“ sein, andernfalls trickst uns unsere Wahrnehmung aus. „Das ist, wie wenn ich sage: Jedes Mal, wenn ich nach Kärnten fahre, ist schönes Wetter. Es kann sein, dass von zehn Mal nur drei Mal die Sonne scheint, trotzdem werde ich denken, dass fast jedes Mal schönes Wetter ist, weil ich die ,Schönes-Wetter-Urlaube‘ stärker in Erinnerung habe.“
Wenn nun Frauen seit der Jugend erzählt bekommen, dass Frauen untereinander stutenbissig sind, reicht eine einzige furchtbare Vorgesetzte, um das zu bestätigen. Natalie Atzenberger: „Ich nenne das anekdotische Evidenz – also keine Evidenz.“ „Ich könnte natürlich sagen, dass ich so etwas selbst kenne, aber wenn ich mir mein Leben anschaue, habe ich vielmehr das Gegenteil erlebt: Frauen, die für mich da waren, als es mir nicht gut ging, und Frauen, die mir Türen geöffnet haben“, sagt sie.
Mag sein, dass sich Mädchen im Teenager-Alter vergleichen, sich als Konkurrenz wahrnehmen, aber insgesamt ist sie davon überzeugt, dass es sich hier um eine Mär handelt, die vom eigentlichen Problem ablenkt: „nämlich dem patriarchalen System, in dem die größte Gefahr für Frauen männliche Gewalt ist.“
Was immer hilft: reflektieren, hinterfragen. Beispielsweise wie lange man das schon – implizit und explizit – erzählt bekommt, dass sich geschlechtsreife Mädchen um Jungs streiten oder wie hübsch ihr Kleid ist und dass man auf ebensolche Dinge den Fokus legen soll.
Zu dem Thema gibt es auch mittlerweile genügend Studien, hakt Katja Grafl ein. „Das Queen-Bee-Syndrom ist nicht belegt, hingegen habe ich wieder eine jüngere Umfrage entdeckt, bei der rund 700 junge Business-School-Absolvent:innen angegeben haben, dass sie vielmehr erlebt haben, dass Frauen in Führungspositionen eher dazu tendieren, jüngere Frauen zu fördern“, erklärt sie. „Es gibt Männer und Frauen, die unsolidarisch sind, das ist nicht geschlechtsspezifisch.“
Das Herz des Patriarchats
Ob nun Stutenbissigkeit oder Queen-Bee-Effekt – Neurowissenschaftlerin Sibel Ada ärgert nicht zuletzt der Missbrauch des Naturbegriffs. „Genetische Unterschiede zu finden, war das Fundament der Nazis, des Kolonialismus und von allen möglichen Machtgefällen, die man versucht hat zu etablieren. Ich würde sogar behaupten: Das ist das pochende Herz des Patriarchats.“
Zum Einsatz kommen Naturbegriffe laut Sibel Ada für gewöhnlich zu Ungunsten von marginalisierten Gruppen, zu denen Frauen gehören. Wenn nun so eine Beschreibung aus der Natur verwendet wird, gilt die Zuschreibung quasi als genetisch konserviert, „dann kann man nichts dagegen machen, dann sind halt Frauen wie Stuten und bissig. Das ist etwas extrem Perfides, weil es den Eindruck vermittelt, dass ein Naturgesetz dahintersteht, was ein absoluter Bullshit ist“, stellt sie klar.
Aber wer sagt, dass Macht weniger wird, wenn man sie teilt?
Katja Grafl
Mittlerweile gebe es hingegen jede Menge wissenschaftliche Belege dafür, dass Sexualität nicht binär ist und dass es nicht nur zwei Geschlechter gibt. Den Naturbegriff stellt sie in dem Zusammenhang überhaupt infrage: „Wir arbeiten, leben in Häusern, wir gestalten die Natur. Natur ist das, was unsere Realität ist. Die Evolution ist Natur und wir evolven in die Richtung, dass Frauen mittlerweile mitkriegen, dass das Patriarchat scheiße ist – also ist das jetzt Natur.“
Zu allem Überfluss wird Stutenbissigkeit sozusagen künstlich befeuert, weil der den Frauen zugewiesene Raum minimal gehalten wird; „er hat jeweils nur eine gewisse Toleranz für eine gewisse Menge an Frauen“, erklärt Sibel Ada. „Das erweckt den Anschein, Frauen würden einander Räume wegnehmen, dabei sind es die Männer.“
Triebfeder der Unterdrückung sei nicht selten die Angst vor Machtverlust, fügt Katja Grafl hinzu. „Aber wer sagt, dass Macht weniger wird, wenn man sie teilt?“ Sibel Ada findet das geradezu zynisch: „Interessant ist, dass das gleiche System mit dem Machtbegriff so angstvoll umgeht, weil das eine limitierte Ressource sei, aber die Natur, die tatsächlich limitiert ist, exploitiert das gleiche System ohne Ende.“
Früchte der Solidarität
„Wie schön die Erfahrung von Solidarität unter Frauen ist, kriegen wir regelmäßig bei unseren Sisters-Meet-ups mit“, beschreibt Katja Grafl. Wie man sich auch im Alltag solidarisch zeigen kann, dazu hat Sorority auch einige Ideen im Buch parat, eine davon: das aktive Vernetzen.
„Viele Jobs bekommt man, weil man empfohlen wird; das pushen wir als Verein branchenübergreifend“, sagt Katja Grafl – „Würde man den Auftragswert berechnen, wäre der mittlerweile sehr hoch, es sind so viele Unternehmen und Aufträge durch Sorority-Netzwerke entstanden“, ergänzt Natalie Atzenberger.
Der Tatendrang hält an: „Unsere feministischen Kämpfe müssen noch diverser werden, damit sich möglichst viele Zielgruppen wiederfinden, die in der Gesellschaft marginalisiert sind“, merkt Katja Grafl selbstkritisch an und fügt hinzu: „Ich sage bewusst Kampf, weil es kein Spaziergang ist: Es geht um Rechte, die wir noch nicht haben, und um Rechte, die wir wieder verlieren können.“
„Es gibt aktuelle Studien, die belegen, dass Frauen tendenziell progressiver werden und Männer konservativer – die schauen sich dann Andrew Tate an“, sagt Sibel Ada. „Dieses System wird brechen. Ich nenne das gerade die
letzten Zuckungen des Patriarchats, wenn beispielsweise Abtreibungsgesetze wieder verschärft werden. Denn die Generation an Frauen, die sich das alles nicht mehr gefallen lässt, wächst parallel dazu.“
Statt Stutenbissigkeit: Wie geht Solidarität?
- Sei anderen Frauen* eine Fürsprecherin, auch in deren Abwesenheit!
- Empfiehl Kolleginnen weiter und erhöhe so ihre Sichtbarkeit!
- Hilf Jüngeren, Spielregeln im Job schneller zu durchschauen!
- Verzichte auf frauenspezifische Schimpfwörter und Abwertungen!
- Schlage Frauen für offene Stellen, als Expertinnen oder Vortragende vor.
- Feiere Kolleginnen*, wenn sie erfolgreich sind.
Quelle: Sorority (Hg.): „No More Bullshit. Das Handbuch gegen sexistische Stammtischweisheiten“ (Kremayr & Scheriau)