Nur Mut: Das hilft gegen soziale Ängste
Über soziale Ängste und was wir gegen sie tun können.
© Unsplash/Elise Wilcox
Angst ist gesund: Schließlich schützt sie uns vor Gefahren oder hindert uns daran, Dummheiten zu begehen. Doch was ist, wenn Phobien zur Belastung werden und uns davon abhalten, unser Leben so zu leben, wie wir es gerne möchten? Über soziale Ängste und was wir gegen sie tun können.
Wenn Kati* (*Name von der Redaktion geändert) in der Schule ein Referat halten musste, war sie meist schon am Abend davor von Übelkeit, Bauchschmerzen und unendlichen Gedankenspiralen geplagt. Was ist, wenn ich meinen Text vergesse und plötzlich rot anlaufe? Oder wenn ich die Fragen von meinen Mitschüler:innen nicht beantworten kann? Wenn ich jemanden zu lange ansehe oder ausgelacht werde, weil ich etwas Komisches sage?
„Ich konnte kaum schlafen und habe mir ausgemalt, was alles Schlimmes passieren könnte“, berichtet uns die 29-jährige Studentin. Auch heute noch analysiert sich Kati im Alltag permanent selbst. Vor jedem Satz überlegt sie genau, was sie sagen will. Achtet auf jede ihrer Bewegungen, um ja nichts falsch zu machen. Und nach Konversationen zerdenkt sie jedes Wort, das aus ihrem Mund gekommen ist.
Gedankenspirale.
„Ich habe das Gefühl, andauernd unter Strom zu stehen, und ertrage soziale Situationen nur unter viel Stress. Das versuche ich für meine Freund:innen oft auszuhalten, jedoch vermeide ich soziale Situationen mittlerweile meistens einfach“, so Kati weiter. Die Gefühle, die sie dabei erlebt, sind typisch für eine soziale Angststörung, auch Sozialphobie genannt.
Mit diesen ist die Studentin keineswegs allein: Rund 13 Prozent der Menschen in Deutschland leiden an der psychischen Erkrankung. Für Österreich gibt es keine genauen Zahlen, jedoch zeigen Studien, dass die soziale Angst im westlichen Raum nach Depressionen und Alkoholismus die dritthäufigste psychische Störung ist. Und das mit gravierenden Folgen: Soziale Angst kann erhebliche Auswirkungen auf das Leben haben. Betroffene neigen zu gesundheitlichen Problemen, haben Schwierigkeiten, enge Partnerschaften einzugehen, setzen teilweise Substanzen zur Angstminderung ein – oder aber sie isolieren sich total, wie im Fall von Kati.
Face your fears.
Woher soziale Ängste genau kommen und wie man sie am besten bekämpfen kann, behandelt der Professor Stefan G. Hofmann in seinem neuesten Werk „Soziale Ängste loswerden“. Der international renommierte Psychologe kam während seines Studiums mit dem Thema Angst in Kontakt: „Meine damalige Professorin Anke Ehlers forschte zur Panikstörung, und uns fiel auf, dass es noch viel Forschungsbedarf auf dem Gebiet der sozialen Angststörung gibt. Daher habe ich meine Dissertation zu dem Thema geschrieben und seither daran gearbeitet.“
Heute hat Hofmann mehr als 400 wissenschaftliche Artikel in Fachmagazinen und 20 Bücher zum Thema Angst veröffentlicht. „Ich selbst konnte mich auch mit den Menschen mit sozialer Angststörung gut identifizieren. In gewisser Weise habe ich mich so selbst effektiv behandelt“, erzählt er. Wie wir am besten offen mit unseren Ängsten umgehen und wovor er sich im Alltag das letzte Mal gefürchtet hat, berichtet uns der Angstexperte im Gespräch.
Vermeidung ist einer der Hauptgründe dafür, dass die Angst unsere ständige Begleiterin wird.
Stefan G. Hofmann, klinischer Psychologe
Wie definieren Sie soziale Angst und wie unterscheidet sie sich beispielsweise von allgemeiner Unsicherheit oder Schüchternheit?
Stefan G. Hofmann: Soziale Angst ist uns allen vertraut. Dies ist die Angst vor negativer Bewertung durch andere. Wenn diese Angst exzessiv ist, einen hohen Leidensdruck erzeugt, über mehrere Monate auftritt und wenn die Person in ihrem alltäglichen sozialen oder beruflichen Leben dadurch eingeschränkt wird, spricht man oft von sozialer Angststörung. Schüchternheit ist ein Persönlichkeitsmerkmal, das oft mit sozialer Angst zusammenhängt, aber nicht identisch ist.
Gibt es bestimmte Faktoren, die zur Entwicklung sozialer Ängste beitragen können?
Da gibt es sehr viele Faktoren. Genetische Merkmale, Lernerfahrung und soziale und kulturelle Bedingungen können immer eine Rolle spielen. Die Menschen mit sozialen Ängsten unterscheiden sich aber sehr hinsichtlich dieser Faktoren. Zum Beispiel sind genetische Faktoren bei einigen sehr viel deutlicher ausgeprägt als bei anderen. Aber selbst, wenn genetische Faktoren eine deutliche Rolle spielen, können soziale Ängste mittels psychotherapeutischer Interventionen sehr effektiv behandelt werden.
Wie können soziale Ängste das tägliche Leben und die zwischenmenschlichen Beziehungen einer Person beeinflussen?
Der Mensch ist ein soziales Wesen. Wir sind zwangsläufig täglich mit sozialen Situationen konfrontiert. Das macht die soziale Angststörung so problematisch. Das Leben mit sozialer Angst ist eine tägliche und sich ständig wiederholende Tortur. Menschen mit sozialen Angststörungen haben Beeinträchtigungen in allen Lebensbereichen, vom Berufsleben bis hin zum intimen und familiären Bereich.
Welche typischen Symptome erleben Menschen mit sozialen Ängsten? Gibt es vielleicht auch bestimmte Auslöser oder Situationen, die soziale Ängste besonders verstärken?
Auslöser sind soziale Situationen, welche die Menschen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit anderer stellt oder stellen könnte. Soziale Ängste drücken sich bei Menschen in sehr unterschiedlicher Weise aus. Sie drücken sich auf körperlicher, subjektiv-emotionaler, und kognitiver Ebene und der Ebene des Verhaltens aus. Manche Menschen mit diesen Problemen berichten starke körperliche Empfindungen, wie Herzrasen oder Schweißausbrüche. Negative, auf sich selbst bezogene Gedanken und Aufmerksamkeitsprozesse sind oft mit diesen Ängsten verbunden. Oft gibt es auch Verhaltensweisen, welche den Menschen das Gefühl geben, mit ihrer Angst besser umzugehen. Wir bezeichnen diese als Sicherheitsverhalten und Vermeidungstendenzen. Diese Verhaltensweisen sind aber oft der Grund, warum die Angst aufrechterhalten wird.
Was ist dann die beste Möglichkeit, aus diesen Verhaltensweisen auszubrechen? Gibt es dabei vielleicht bestimmte Therapien oder Behandlungsmöglichkeiten?
Die effektivste Therapie ist die kognitiv-verhaltensorientierte Therapie, welche ich in meiner Karriere weiterentwickelt habe. Diese zielt darauf ab, falsche Vorstellungen zu erkennen, sie durch zutreffende zu ersetzen und neue Verhaltensweisen zu erlernen, die zu einer allgemeinen Änderung des eigenen Selbstbilds und der Vorstellung von der Welt führen. Die konkreten therapeutischen Strategien sind in meinem Buch beschrieben. Es gibt des Weiteren auch effektive Medikamente, die allerdings nicht effektiver als die erwähnte Psychotherapie und mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden sind.
Auch wenn wir das Smartphone ständig selbst in der Hand halten, haben viele Menschen Angst vorm Telefonieren. Welche Rolle spielen soziale Medien bei der Entstehung oder Verstärkung sozialer Ängste?
Soziale Medien sind Ausdruck des menschlichen Bedürfnisses nach sozialen Kontakten. Das macht es auch so problematisch, soziale Ängste zu haben. Menschen mit sozialen Ängsten haben das Bedürfnis nach sozialen Kontakten, fürchten sich aber gleichzeitig davor. Soziale Medien verstärken diese Qualen natürlich noch mehr.
Wann und wovor hatten Sie selbst das letzte Mal Angst?
Die politische Weltlage gibt mir leider genug Grund, täglich Angst zu haben.
Welche Empfehlungen oder Ratschläge haben Sie für Menschen, die selbst mit sozialer Phobie kämpfen? Gibt es vielleicht bestimmte Selbsthilfestrategien oder Tipps, die man im Alltag anwenden kann?
Vermeidung ist einer der Hauptgründe dafür, dass Angst unsere ständige Begleiterin wird. Konfrontation ist also ein unverzichtbares Werkzeug zur Überwindung der sozialen Angst. Mein Buch gibt Leser:innen konkrete, empirisch validierte Strategien, wie man effektiv mit sozialen Ängsten umgehen kann. Klinische Studien zeigen außerdem, dass 70 bis 80 Prozent aller Menschen sehr gut auf Kognitiv-Verhaltenstherapie basierte Behandlung ansprechen und ihre soziale Angst sehr gut und langfristig unter Kontrolle bekommen können.
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Mehr zur Autorin dieses Beitrags:
Tjara-Marie Boine ist Redakteurin für die Ressorts Business, Leben und Kultur. Ihr Herz schlägt für Katzen, Kaffee und Kuchen. Sie ist ein echter Bücherwurm und die erste Ansprechpartnerin im Team, wenn es um Themen wie Feminismus und Gleichberechtigung geht.
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