Mehrere Reihen silberne Brustpanzer, davor eine komplette Ritterrüstung.

So prägt das Mittelalter unsere (modische) Zukunft

Ritterschlag

5 Min.

© Pexels/Pixabay

Blecherne Rüstungen, organzerquetschende Korsetts und wallende Trompetenärmel: Der Mittelalter-Trend ist gerade überall zu spüren. Doch warum zieht es eine hypermoderne Gesellschaft in eine Ära, die für Pest und Plagen bekannt ist?

Höret, höret! Wenn Ritterrüstungen als Fashion-Inspiration gelten, Modeschauen vor mittelalterlichen Burgen stattfinden und Promis auf dem roten Teppich Jeanne d’Arc spielen wird eines klar: Der ästhetische Kompass hat sich neu ausgerichtet – auf eine Zeit, die wir lange als finster abstempelten. Von wegen 90er und Y2K, das Mittelalter ist zurück! Das Revival des Burgfräulein-Looks beruht auf gesellschaftlichen Problemen und Bedürfnissen, die sich in allen erdenklichen Lebensbereichen widerspiegeln. Allem voraus: Der Kampf zwischen Mensch und Maschine. Also auf in die Schlacht! Diesmal aber bitte ohne Streckbank.

Handmade-Hype

Na, haben Sie auch immer mehr das Gefühl, dass wir uns in einem SciFi-Horrorfilm befinden? Autos fahren von selbst (Leute um), Albanien stellt eine KI-Ministerin und das Weltall dient als nächster Touristenhotspot. Wie jetzt, keine Lust mehr auf Digitalisierung? Der Wunsch, der technologischen Revolution auszuweichen, wird in zahlreichen Studien bestätigt. Weniger als die Hälfte der Menschen vertrauen künstlicher Intelligenz, viele wünschen sich außerdem simplere Geräte ohne Internetzugang zurück. (Wozu braucht mein Airfryer W-Lan?!) Dumb Phones statt Smartphones, Gehirnzellentraining statt ChatGPT. Selbst machen lautet die Devise, Handwerk rückt wieder in den Fokus. Während Maschinen immer besser menschliche Fähigkeiten imitieren, steigt gleichzeitig der Wert des Handgemachten – weit ab von Temu und Shein. Der unnachahmbare “Human Touch” wird besonders geschätzt, Imperfektionen zum Symbol der Menschlichkeit erkoren. Produkte und kulturelle Praktiken, die menschliche Arbeit sichtbar machen, werden zum Luxusgut. Vergessen Sie also die Omi-Klischees! Stricken, Häkeln und Töpfern gelten jetzt als Trend-Hobbies.

Knight in shining armor

Ein besonderer Hingucker und Inbegriff dieser Wertschätzung für Handgemachtes ist Chainmail. Das ist ein Material, das aus kleinen verflochtenen Metallringen besteht – etwa wie die silbernen Kettenhemden, die im Mittelalter als Schutz vor Angriffen getragen wurden. Zahlreiche Designer:innen verwandeln die Kettenrüstung jetzt in verschiedenste Kleidungsstücke, von Bikinis und Korsetts bis hin zu Kleidern. Als ritterliches Accessoire beweist Chainmail ebenfalls seine Stärke: Ob Häubchen, Münztäschchen, oder gar Krawatte. Wer noch einen drauflegen möchte, erscheint gleich in kompletter Ritter-Montur. So zum Beispiel Zendaya, die ihre Liebe zu den dunklen Zeiten gleich mehrmals auf dem roten Teppich offenlegte.

Zendaya in silberner Rüstung
© Shutterstock

Ritterliche Rebellion

Silberglänzendes Blech dient dabei nicht nur als modische Zeitreise, sondern offenbart die Sorgen unserer Zeit. Politische, ökonomische und ökologische Ungewissheit nagen an uns. Klar, nichts neues. Doch wir kämpfen dagegen an – mehr denn je. In zahlreichen Ländern protestieren Menschen für ihre und die Rechte anderer, stürzen Regierungen und tragen belastende Informationen weit über Landesgrenzen hinaus. Rüstungssymboliken bieten nicht nur Schutz, sondern auch Mut und Zusammenhalt. Wir warten nicht mehr auf den Ritter, der uns erlöst, sondern ziehen selbst in den Kampf.

Get the look

Abseits von Metall-Outfits zeigt sich die Faszination fürs Neo-Mittelalter in natürlichen Stoffen und aufwändigen Schnitten. Leinen, Brokat, Trompetenärmel und Korsagen erleben ein stilistisches Revival. Ein paar Tipps für den perfekten Medieval-Look:

  1. Spitze, Leinen und natürliche, durchsichtige Stoffe zum Layern. Insbesondere mit Rüschen!
  2. Statement-Ärmel in verschiedenen Formen, die historische Gewänder widerspiegeln. Beispielsweise Trompetenärmel oder Puffärmel.
  3. Chainmail, ob als Accessoire oder Kleidungsstück.
  4. Breite Armbänder und Ringe bilden gemeinsam eine Rüstung für den Arm.
  5. Korsagen aus natürlichen Materialien als Oberteil oder Layering-Piece als Gegentrend zu sexy Fast Fashion-Korsetts.
  6. Spitze Schuhe wirken wie Waffen und können die silberne Optik einer Ritterrüstung annehmen. Auch Schnürstiefel passen zum Look.

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Willkommen in der Vergangenheit

Die Mittelalter-Romantik bleibt nicht nur auf Mode beschränkt: Der Interior-Trend Castlecore demonstriert uns das Leben als Schlossherr:in, ganz ohne die Heizkosten eines echten Palasts. Dunkle Hölzer, Steinkamine, Wandteppiche, Kerzenlicht und Gotik-Deko zieren zunehmend moderne Wohnungen, kulinarisch schmeckt man die Medieval-Vibes sowieso schon längst: Fermentation, Sauerteig und co liegen bereits voll im Trend. Gesunde Vollwerternährung statt industriell verarbeiteten Lebensmitteln – eine geschmackvolle Rebellion gegen Masse und Maschinen.

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Andere kulturelle Bereiche reisen ebenfalls in die Vergangenheit: Mittelalterliche Coverversionen moderner Songs, genannt „Bardcore“ werden auf YouTube millionenfach geklickt. Darunter auch zu Tavernen-Hits verwandelte Charts von Charli XCX. Nicht ihre einzige Medieval-Connection: Sie arbeitet mit Musiker-Kollege Yung Lean und renommierten Schauspieler:innen (Anya Taylor-Joy, John Malkovich uvm.) an einem Film, der die Geschichte von Jeanne d‘Arc neu aufgreift.

Ritter spielen macht schließlich Spaß: Mittelalterfeste verzeichnen Besucher:innenrekorde, die Freude an der Vergangenheit ist längst kein Nischen-Hobby mehr. Tausende Burgfräulein, Gaukler und Krieger strömen alljährlich zu den Treffen, ergötzen sich an Showkämpfen und schlagen sich den Bauch mit traditionellen Köstlichkeiten voll. Gerade in Zeiten sozialer Isolation bieten Mittelaltermärkte einen Raum sich kreativ auszuleben, neues zu probieren und Menschen kennenzulernen, die sonst wohl nie im selben Raum wären.

In der schnelllebigen, überdigitalisierten Welt erscheint das Mittelalter als Gegenentwurf zur Gegenwart: entschleunigt, mystisch und materiell greifbar. Während KI-generierte Realitäten unumgänglich wirken, bietet der Blick in die Vergangenheit menschliche Substanz. Dabei bezieht sich der Trend nicht auf eine bestimmte Ära, sondern spielt nach seinen eigenen Regeln. Wer kann sich schließlich noch an die Epochen aus dem Geschichtsunterricht erinnern? Spaß am Träumen und Nostalgie für eine nie erlebte Zeit dienen als Statement, historische Akkuratesse bleibt außen vor. Denn es geht vorrangig um eins: Rebellion gegen den Status Quo.

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