Libidoverlust

Libidoverlust: Keine Lust auf Sex?

Was, wenn die Lust verloren geht

7 Min.

© Pexels/Sunsetoned

Viele Menschen haben mit Libidoverlust zu kämpfen. Das Problem liege oft auf der Paarebene und an fehlender Kommunikation, weiß die Sexualtherapeutin Julia Henchen.

Egal, ob wir Single sind oder in einer langjährigen Beziehung stecken: Fast jede Person macht mindestens einmal im Leben eine Phase der sexuellen Lustlosigkeit durch. Mit Libidoverlust haben laut Studien vermehrt Menschen in Langzeitbeziehungen zu kämpfen – überwiegend Frauen, weiß Sexualtherapeutin Julia Henchen, die das Thema in ihrem Buch „Kopf aus – Lust an“ von allen Seiten beleuchtet. „In einer Beziehung werden die Gründe für Sex einfach weniger“, erklärt die Autorin im Interview.

„Studien zeigen, dass Frauen in Langzeitbeziehungen tendenziell schneller gelangweilt sind und früher das Interesse an Sex verlieren“, sagt sie. Ihnen werde dann oft unterstellt, dass sie schlichtweg lustlos sind oder nicht wissen, was sie wollen, so Henchen. „Tatsächlich steckt aber oft ein Kommunikationsproblem dahinter. In vielen Fällen wird nicht offen darüber gesprochen, welche Bedürfnisse alle Beteiligten haben. Die Vorhersehbarkeit und der immer gleiche Ablauf tun ihren Anteil daran“, beschreibt die Sexualtherapeutin die Herausforderung. Wenn das Sexleben nicht erfüllend ist, schwindet das Interesse daran oft von ganz allein. Nach einem langen, stressigen Tag noch die Energie dafür aufzubringen erscheint dann fast unmöglich.

Stereotype

„Weibliche Lust wird oft als kompliziert abgestempelt“, sagt die Autorin. „Das Bild der lustlosen Frau ist eine misogyne Ansicht. So wie jene, dass Frauen immer sexuell verfügbar sein müssen. Weiblich gelesene Personen werden als Objekt gesehen, ihr eigenes Begehren hat im Gegensatz dazu oft wenig Raum. Hier kommen die patriarchalen Strukturen klar zum Vorschein“, so die Sexualtherapeutin. „Frauen wachsen in einem Spannungsfeld auf: Sie dürfen nicht zu sexuell sein. Andererseits wird von ihnen verlangt, genau zu wissen, was sie möchten, und ihr sexuelles Wesen voll und ganz auszuleben. Das kann aber nicht funktionieren, wenn sie nie die Möglichkeit hatten, ihre Sexualität wirklich zu erforschen.“

Lust hängt eng mit unserem Wohlbefinden, Stress und Sicherheit zusammen. Wenn unser System unter Druck steht, priorisiert es Schutz, nicht Intimität.

Julia Henchen
Julia Henchen
Julia Henchen © Annika Fußwinkel

„Häufig wird die Sexualität der Frau in Hetero-Beziehungen durch die des Mannes geprägt“, weiß die Sexualtherapeutin aus ihrer Praxis. „Wenn Paare früh zusammenkommen und der Mann ein bisschen erfahrener ist, passt sich die Frau dem Mann und seinen sexuellen Bedürfnissen häufig an und orientiert sich an dem, was er vorgibt.“ Auch die mediale Darstellung von Sex gibt uns Geschlechterrollen vor. Wenn man diesen Gedanken weiterspielt – auch die Pornografie. Ein berühmtes Beispiel dafür machte kürzlich auf TikTok die Runde: Die Reaktionen auf eine Folge der Erotik-Reality-Show „Stranger Sins“ fielen heftig aus. In der Sendung lernen Paare unter Anleitung von Expert:innen ihre bislang unerfüllten sexuellen Fantasien auszuleben, um ihre Beziehung zu stärken.

Die Teilnehmer:innen William und Daria sorgten für Unbehagen bei den Zuseher:innen: William erklärte, nur in einer dominanten Rolle sexuell befriedigt zu werden. Er würde auch unter Performancedruck leiden und erliege dem Drang, Sex wie in einem Porno auszuleben.

Eine spezifische Szene, die das scheinbar reale Sexleben der beiden in einem pornoähnlichen Setting zeigte, sorgte für schockierte Reaktionen im Netz. TikTok-Nutzer:innen diskutierten darüber, ob die Praktiken der Reality-TV-Teilnehmerin Daria auch wirklich gefallen würden. „Während Pornos durchaus Inspiration für das eigene Sexleben sein können, müssen wir uns darüber bewusst werden, dass es eher um Unterhaltung als um die Realität geht. Pornos sind vereinfacht gesagt Blockbuster und keine Dokumentation“, sagt Julia Henchen. Sie können hilfreich sein, aber auch immensen Performancedruck auslösen und gleichzeitig unser Bild von Sexualität verzerren.

Responsiv und spontan

Ob wir auf solche Reize mit Erregung, Lustempfinden oder gar nicht reagieren, ist natürlich individuell. In der Sexualtherapie unterscheide man zwischen zwei Typen, erklärt Julia Henchen: den responsiven und den spontanen Typ. „Diejenigen, die einen Gedanken haben oder einen Reiz verspüren und ‚spontan‘ Lust bekommen, egal was sie gerade tun, sind dem spontanen Typ zuzuordnen.

Responsiv bedeutet, zuerst emotional und körperlich angesprochen zu werden, um Lust und Erregung zu spüren. Oft ist die Erregung dann vorhanden, die Lust fehlt aber noch.“ Genaugenommen gebe es die spontane Leidenschaft, wie wir sie aus Hollywoodfilmen kennen, in Langzeitbeziehungen nicht, betont die Sexualtherapeutin. Um der Sache etwas genauer auf den Grund zu gehen, haben wir mit zwei Frauen gesprochen, die sich jeweils einen der beiden Typen zuordnen können.

Erfahrungsberichte

Die 33-jährige Jana* ist seit 14 Jahren mit ihrem Partner zusammen und beschreibt ihr Lustempfinden als eher spontan: „Der Auslöser für die Lust ist ganz wichtig. Es braucht vielleicht weniger, weil meine Libido schneller ansprechbar ist als bei anderen. Es reicht zum Beispiel eine Halskette oder eine Berührung, und ich spüre sofort Lust.“ Jana liest gerne erotische Literatur, um ihre Fantasien zu erforschen: „Ich komme beim Lesen oft auf neue Ideen, und meine Lust rückt mehr in den Vordergrund. Man beginnt sich schnell zu fragen: Was kann ich in meinem Sexleben verändern, damit es in die Richtung geht, die mir aus den Büchern gefällt?“

Viele Frauen haben Sex, ohne eigentlich Lust zu haben.

Julia Henchen

Ein anderes Bild zeichnet sich bei Lisa* ab: „Lust auf Sex habe ich eigentlich so gut wie nie“, erzählt die 36-Jährige. „Es braucht schon eine längere Vorbereitung, damit ich mich darauf einstellen kann. Ich vereinbare mit meinem Partner gerne einen Zeitpunkt, wo wir uns füreinander Zeit nehmen, weil ich ihm nahe sein will. Mir hilft dann eine Massage, schöne Unterwäsche zu tragen und mich langsam der Situation hinzugeben. Nach vier Jahren Beziehung empfinde ich bei spontanen Reizen eher weniger.“

Wie viel Sex ist normal?

„Viele Frauen beschäftigen sich mit der Frage: Wie viel Sex ist normal?“, erklärt Sexualtherapeutin Julia Henchen. „Man kann sich überlegen, ob man zumindest einmal im Zyklus einen Moment erlebt – vielleicht um den Eisprung herum –, an dem man Lust auf Sex hat. Kann man diese Frage mit Ja beantworten, ist in der Regel alles in guter Balance. Im nächsten Schritt muss der Blick auf die Paarebene gerichtet werden.“

Eine pauschale Lösung für den Libidoverlust gebe es aber nicht. „Wie viel Sex normal für Liebende ist, müssen sie für sich herausfinden.“ Ihr Buch ist eine Methode, um Lust wieder zu aktivieren. „Paare, aber auch Einzelpersonen können sich überlegen, welche Hilfe für sie die richtige ist.“ Fragen, die man sich zu Beginn dieser Reise stellen kann, sind folgende:

  • Wenn ich ein Buch kaufe – lese ich es dann auch?
  • Schaue ich mir lieber Online-Kurse an?
  • Ist Beratung eine Lösung?
  • Haben wir vielleicht selbst Ideen, wie wir weiterkommen können?

„Der erste Schritt ist, mit sich und der anderen Person in Kommunikation zu treten. Eine einfache Übung ist das Aftercare: Paare erzählen sich unmittelbar nach dem Sex, wie sie sich gefühlt haben, und teilen ihre Gedanken“, erklärt die Autorin. „Für viele ist das ein erster Schritt in eine neue Richtung.“

Libidoverlust: Mögliche körperliche Ursachen

Libidoverlust kann auch an körperlichen Faktoren liegen wie:

  • Endometriose
  • Schilddrüsenerkrankungen
  • Vaginismus
  • Orgasmusstörung
  • Medikamenteneinnahme
  • Antibabypille uvm.

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