
© Kirstin Hauk
Chiaroscuro mit der LEICA M10. Angela Lamprechts Bilder wirken behutsam intim und vermitteln ganz entspannt eine greifbar zeitgenössische Ästhetik. Die erzählten Geschichten strahlen dabei in faszinierend realem Licht. Das Rezept für ihre atmosphärisch intime Bildsprache: natürliche Lichtsetzung, Spontanität und vermutlich eine große Prise ihrer untrüglichen Intuition. Von Perspektiven, Blickwinkeln und der Magie des Augenblicks.


Bereits im Alter von 15 Jahren war ihr klar, dass sie mal Goldschmiedin, Buchhändlerin oder Fotografin werden wird. Ihre Intuition war also schon damals eine ausgezeichnete Beraterin. Angela Lamprecht lässt sich von ihren Ideen und ihrer Kreativität leiten. Hin und wieder muss sie dann wieder mal Ordner sortieren, die freie Arbeitsweise macht aber immer Spaß. Fotografiert hat sie eigentlich schon immer. Irgendwann, mit 10 oder so, haben die Eltern ihr so eine kleine analoge Kamera geschenkt, „damals“ wurde natürlich noch alles entwickelt. Später in Wien, sie studierte inzwischen Architektur, hat sie dann das Fotolabor an der Uni genutzt, um ihre Bilder selbst zu entwickeln. Irgendetwas Kreatives wollte sie immer machen, so viel war klar. Innenarchitektur wäre auch interessant gewesen, aber da fehlte damals das Studienangebot. Auch ein fixer Plan in Angelas Leben: Kinder. Trotzdem war sie doch überrascht, als es schneller ging als erwartet und ihr plötzlich gar nicht nur wegen der Aufregung vor der Hochbauprüfung flau im Magen wurde. Mit kleinen Kindern zurück in Vorarlberg jobbte sie zunächst nebenher im Architekturbüro. Erst bei Hermann Kaufmann, später bei Dietrich Untertrifaller. Bald gönnte sie sich ihre erste digitale Spiegelreflexkamera, Fotografieren war ein fester Bestandteil ihres Lebens. „In der Fotografie hat man unmittelbarer ein Ergebnis als in der Architektur.“ Vor die Linse kam, „was man halt so fotografiert“. Lachend fügt sie hinzu: „Blumen, Kinder, Katzen.“ Immer wieder wurde sie nach Arbeiten gefragt, aber geknipst hat sie lange nur für sich oder Freunde. Diese künstlerische Unabhängigkeit ermöglichte es ihr, sich ganz frei zu entfalten. Vielleicht ist ihr sehr persönlicher Stil gerade deswegen so unverkennbar und unverfälscht.


Natürliches Licht. Die Abzüge sind ein Spiegel ihrer Arbeitsweise. Neugierig, authentisch und spontan. Ihr wichtigstes Arbeitsmittel ist das natürliche Licht. „Im Studio zu fotografieren ist relativ langweilig.“ Sie interessiert sich besonders für die Beziehung von Raum und Licht. Für einen Auftrag nimmt sie sich Zeit. Die Raumwirkung verändert sich mit dem Licht. „Oft warte ich den ganzen Tag auf den richtigen Augenblick. Dieselbe Einstellung hat am Morgen und am Nachmittag eine ganz andere Stimmung.“ Solche Momente will sie einfangen. „Ich arbeite auch nur ganz selten mit Profis, also Models.“ Lieber sind ihr echte Menschen und deren Geschichten. Die allererste Arbeit, das waren gute Freunde, die sie nach langem Überreden überzeugten, auf ihrer Hochzeit zu fotografieren. Zeitgleich erhielt sie von ihrer Versicherung einen Pensionsbescheid. Für die kreative Frau mit inzwischen drei Kindern in der wohlbekannten Teilzeitfalle sah dieser gar nicht mal so rosig aus. In dieser Hinsicht werden -Frauen in unserem Sozialsystem nach wie vor bestraft dafür, dass sie sich um die Familie kümmern, ist die Fotografin verärgert. Die Männer können ganz normal weiterarbeiten und bekommen die volle Pension, während Frauen oft in die Altersarmutsfalle tappen – obwohl die Arbeit „neben“ der Familie mindestens genauso stressig ist. „Ich hatte eh nichts zu verlieren, also hab ich es einfach gewagt.“ Unkonventionell „spät“ startete sie also in eine steile Karriere und ist damit bis heute nicht nur äußerst erfolgreich, sondern auch eine große Inspiration. Alle Zweifel wegwischen – und einfach machen.


Magie der Manie. Angela Lamprecht fotografiert schon immer, weil sie es will und kann. Schön zu sehen, dass sich aus einer leidenschaftlichen Berufung jederzeit ein Beruf machen lässt. Mit Ende dreißig habe sie schon etwas gezweifelt und gedacht: „Ich bin nicht mehr jung, aber auch nicht alt, tolle Kinder hab ich schon, aber beruflich noch keine großartige Karriere hingelegt.“ Irgendwie fühlte sie sich ein bisschen verloren. Entgegen aller Konventionen wurde ihr Wagnis ein voller Erfolg. Ihre Arbeitsweise zeigt: Die richtigen Menschen kommen zusammen, wenn man sich authentisch seinen Talenten hingibt. Am liebsten arbeitet sie in belebter Umgebung. „Gastfreundschaft, Menschen, Reisen, Essen.“ An Orten, an denen etwas passiert, fühlt sie sich mit ihrer Kamera wohl. Manchmal bahnt es sich wie eine Manie an, dieses Gefühl, jeden Augenblick festhalten zu wollen, weil der perfekte irgendwo im Dazwischen versteckt ist. Dann knipst sie wild drauflos und macht unzählige Bilder. „Oft wird es erst interessant, wenn etwas in der Inszenierung schiefgeht.“ In der Imperfektion und Spontanität liegt ein gewisser Zauber. Und dann spürt man sie wieder, die Authentizität in den kontrastreich belichteten Aufnahmen der Fotografin, die ihren Motiven wie eine neugierige Jägerin hinterher pirscht. Fotografie hat auch immer etwas Voyeuristisches, schmunzelt sie. „Ich bin neugierig auf die Menschen und wie sie wirklich sind, ich höre gerne ihre Geschichten.“ Mit der Gestalterin Daniela Fetz hat sie inzwischen aus dem gemeinsamen Projekt Hausbesuche ein Buch gestaltet. Dabei besuchen die beiden genau 69 Minuten lang den Wohnraum ausgewählter Menschen und fangen anhand persönlicher Umgebungen ein Porträt von zeitgenössischem Leben fotografisch ein. Ob bald wieder eine Ausstellung folgt? Bisher ist nichts geplant, es fehlt auch ein bisschen die Zeit. Der Lockdown war gar nicht so schlecht, um mal den Berg an privaten Bildern zu sortieren, lacht sie – aber inzwischen sind schon so viele neue entstanden. Überhaupt sieht sie sich eher als Berufsfotografin, weniger als Künstlerin. Dem würden wir angesichts der Ergebnisse vehement widersprechen. Aber über Kunst lässt sich ja bekanntermaßen vortrefflich streiten. Und diese Tatsache reicht uns fürs Erste auch schon als Beweis.
