Carola Schneider

Carola Schneider

Auf der Couch

3 Min.

© Philipp Steurer

Plötzlich ist alles anders. Nach 13 Jahren musste die ORF-Korrespondentin Moskau auf Geheiß des Kremls verlassen. Was bleibt, ist die Ungewissheit. Wie interviewt man eine Journalistin, auf deren Korrespondenztätigkeit in Russland ein offizielles Arbeitsverbot liegt? Was muss gesagt werden, wenn man nichts mehr sagen darf? Und wer spricht für ein Volk ohne Stimme?

Urlaub als Muss? Klingt lustiger, als es wirklich ist. Wie es nun weitergeht – beständig unklar. Die Fronten sind verhärtet und die Abbildung der Realität bleibt in Zeiten von Fake News und Propaganda problematisch. Willkürliche Verhaftungen hingegen sind Alltag. Wem in Russland im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in der Ukraine das Wort „Krieg“ über die Lippen rutscht, droht Gefängnis. Immer noch. Denn die Regierung bevorzugt beständig die Bezeichnung „Militärische Spezialoperation“. Das klingt weniger allumfassend und eher wie ein notwendiger chirurgischer Eingriff, meint die in Marul aufgewachsene Journalistin. Und wenn auch sogar im Kreml das verbotene Wort fällt – darüber redet man in Russland, wie über so vieles, derzeit besser nicht.

Aber zurück zum Anfang. Begonnen hat alles mit der Ausweisung zweier russischer Spione aus Österreich. Da diese als Journalisten getarnt waren, reagierte die russische Regierung mit der Abschiebung der ORF-Korrespondentinnen, die noch mutig genug waren, vor Ort zu agieren. Neben Carola Schneider, seit 2023 wieder ORF-Chefin in Moskau, war auch ihre Kollegin Maria Knips-Witting betroffen. Das war im Juni 2024. Und jetzt? Zunächst waren da Wut und Ohnmacht. Ist es doch eine willkürliche Ungerechtigkeit, die sie abrupt einer Heimat beraubte, in der sie seit 13 Jahren ihrer Berufung, Menschen eine Stimme zu geben, nachgeht, Freunde hat – lebt. Inzwischen hat sich der Schock gelegt und ein bedachter Rationalismus eingestellt. „Auch ich spüre jetzt einfach die Ungerechtigkeit, die in Russland alle spüren.“ Beeindruckend geistesgegenwärtig wirkt die leidenschaftliche Journalistin, aber ihre Trauer kann sie nicht verbergen. Muss sie auch nicht. „Ich kann die Entscheidung der russischen Regierung nicht ändern, aber meine Einstellung zu meiner Lage.“ Also: Hoffen, ablenken, warten. Eine Fortbildung hat sie gemacht, eine Freundin in Amerika besucht, die Russland nach Kriegsbeginn fluchtartig verlassen hatte. Im Spätsommer bereiste sie ihr eigenes Leben, Freunde, die leere Wohnung in Moskau – mit Touristenvisum. Angst bei der Einreise? „Nein.“ Nun gilt es, einen neuen Alltag leben zu lernen. Während der ORF versucht, die Akkreditierungen zurückzuerlangen, wird sie in Wien den außenpolitischen Bereich der ORF-Zentralredaktion von innen unterstützen. Und so gut es geht weiter berichten.

Und Russland? Viele echte Oppositionelle sind nicht im Land verblieben, die Gegenstimmen im Kreml sind moderat bis kontrolliert. Die schrecklichen Ereignisse der Causa Nawalny, aber auch Prigoschins Putschversuch haben viele zur Flucht oder zum Schweigen bewogen. Schneider kritisiert, dass die Menschen in Russland vom Westen pauschal verurteilt werden. Denn den wenigen unabhängigen Meinungsforschungen zufolge sind es nur 15 oder 20 Prozent, die blind befürworten, was im Land passiert. Und die Front bestückt der Kreml mit „freiwilligen Patrioten“ und „Helden“ aus den ärmsten Schichten – gegen Schweigegeld für die Hinterbliebenen. Der Rest schweigt aus Angst, aus Verzweiflung, aber auch aus Gleichgültigkeit und Konformismus. Über Politik spricht man in Russland aktuell nur noch im Privaten. Die Gefahr, denunziert oder Opfer der Unrechtspolitik und Willkür des Regimes zu werden, ist zu groß, Verhaftungen allgegenwärtig. Aber es gibt auch die andere Seite, die offene, liberale, proeuropäische. Und es wird eine neue Zeit kommen. „Ja, es gäbe einen Plan B. Aber ich werde dieses Land, mein Wissen und meine Beziehungen nicht aufgeben.“ Denn sie möchte wieder vor Ort sein. „Weil ich es wichtig finde, trotz oder gerade wegen der internationalen Isolation Russlands den Menschen dort eine Stimme zu geben.“

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