Hermann Nachbaur

Hermann Nachbaur

Künstlerische Freiheit trifft auf gesellschaftliche Verantwortung

5 Min.

© ALBERTO VENZAGO

Maler, Bildhauer, Möbelbauer. Hermann Nachbaur hatte schon viele Titel. Auch Gemüsebauer war einmal dabei. Aber der Vorarlberger Künstler lässt sich nicht so einfach festlegen. Was jedoch alle seine Werke eint, ist der Wunsch, zum Nachdenken anzuregen. Über den Wert der Natur. Zeit. Vielfalt. Und vieles mehr. Ohne erhobenen Zeigefinger, dafür mit Tiefgang und Gefühl.

Kunstinstallation mit goldenen, stilisierten Pflanzen auf Podesten und einer anthropomorphen Hasenfigur mit Zylinder in einer dunklen, atmosphärischen Umgebung.
@ Rudolf Nachbaur

Sie bezeichnen sich selbst als Autodidakt. Wie haben Sie gelernt, Künstler zu sein?
Im Herzen war ich immer schon Künstler. Was mich antreibt, ist eine kindliche Neugier und Faszination. Ich sauge Wissen förmlich auf. Ich muss wissen, wie Dinge funktionieren, Zusammenhänge erkennen und diese verstehen. Kunst ist etwas, das ich einfach fühle.

Welche Ansprüche stellen Sie an sich selbst als Künstler und Ihr Werk?
Ich will Werte vermitteln, ohne zu belehren oder zu politisieren. Meine Werke sollen zum Nachdenken anregen. Gleichzeitig möchte ich den Betracher:innen Freude schenken. Mein Ziel ist es, den Menschen als jemand im Gedächtnis zu bleiben, der das Leben lebt und das Machen liebt.

Malerei, Skulpturen, Möbel – Sie lassen kaum eine Kunstform aus. War die richtige noch nicht dabei?
Ich will als Künstler in keine Kategorie eingeordnet werden, ­­sondern mir die Freiheit behalten, Neues auszuprobieren. Wiederholungen finde ich langweilig. Vielfalt ist mir generell ein großes Anliegen. Wir bewegen uns ohnehin immer weiter in Richtung Uniformierung und damit weg von der Vielseitigkeit der Natur und dem Ursprünglichen.

Stichwort Natur. Diese ist in Ihrem Werk sehr prominent vertreten. Welche Message steckt dahinter?
Die Natur ist für mich Kunst pur. Es gibt nichts Vergleichbares. Allein, wenn man ihr Farbenspektrum betrachtet. Trotzdem haben wir verlernt, sie zu genießen, geschweige denn zu respektieren. Vor allem, wenn es um Lebensmittel geht. Die Glorifizierung des Lebensmittels ist daher ein zentrales Thema meines Schaffens.

Hermann Nachbaur mit einer Glasvitrine, die ein vergoldetes, florales Kunstobjekt enthält – Verbindung von Natur und Design
© Pascal Egle

Welchen Umgang mit der Natur und Lebensmitteln würden Sie sich wünschen? Was fehlt Ihrer Meinung nach?
Als ehemaliger Gemüsebauer weiß ich: Der Mensch hat verlernt, mit der Natur zu arbeiten. Wir versuchen, den natürlichen Kreislauf zu umgehen, um möglichst schnell ans Ziel zu kommen. Gemüse und Obst werden kalibriert und unterliegen der Strichcode-Norm. Dadurch werden Ressourcen verschwendet und Lebensmittel werden zur Billigware. Was ich interessant finde: Es gibt eine Weinsprache, aber keine Lebensmittelsprache. Ich arbeite daran, eine solche zu entwickeln, um den Menschen die Natur wieder näher zu bringen. Erfreulicherweise ist derzeit – vor allem auch in der innovativen Gastronomie – ein deutlicher Gegentrend zu erkennen, der die Vielfalt und Werte der Natur wieder stärker in den Fokus stellt.

Abgesehen von der Natur, welche aktuellen Themen beschäftigen Sie derzeit am meisten?
Viele von uns leben heute am Leben vorbei. Wir sind fremdbestimmt durch Technik und Automatismen und sind im Grunde nur noch darauf programmiert, zu funktionieren. Das intuitive Handeln und Fühlen geht immer mehr verloren. Das hat mich unter anderem zu der Skulptur Influence 7 inspiriert. Wir sollten versuchen, wieder mehr auf unsere Instinkte und Sinne zu hören anstatt auf technische Tools. In dieser Arbeit zeigt sich außerdem meine Leidenschaft für die Stilrichtung Art Déco. Ich liebe es, mit unterschiedlichen Stilrichtungen zu experimentieren.

Goldene Spinnenskulptur von Hermann Nachbaur mit Kameralinsen als Augen – Kritik an Überwachung und Kontrollgesellschaft
Thrilling 8 widerspiegelt den Überwachungswahn der Gesellschaft. Über vier 360-Grad-Kameras in den Augen beobachten die Betrachter:innen sich selbst. | @ Alberto Venzago

Wie entstehen Ihre Kunstwerke?
Ich mache keine konstruktiven Entwürfe, geschweige denn Pläne, sondern agiere mit einer fast kindlichen Intuition. Ich sehe etwas, ich erhalte einen Input und dann entsteht in meinem Kopf eine Geschichte dazu. Im Laufe der Arbeit kommen immer wieder neue Ideen, Formen, Farben und Materialien dazu, sodass ich mein Werk immer wieder abändere. Es ist eine Faszination, die ich immer weiter ausreize. Ein derartiger Schaffensprozess braucht natürlich Zeit. Aber das ist eben genau mein Anspruch: Ich will nicht einfach Werke in Serie produzieren, sondern etwas schaffen, das Bestand hat, und mit jedem Projekt Neuland betreten. Man braucht einfach Zeit, um Dinge zu verstehen, zu erfassen und Lösungen zu finden. Wenn ich etwas mache, dann mache ich das mit letzter Konsequenz.

Ist Zeit Ihrer Ansicht nach etwas, von dem wir heute generell viel zu wenig haben?
Ja. Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir alle auf der Flucht vor etwas sind. Sobald ich ein Kunstwerk beendet habe, werde ich schon gefragt: „An was bist du jetzt dran?“ Der Faktor Zeit fehlt heute einfach überall. Und deshalb hat vieles auch keine Wertigkeit mehr. Ich möchte den Faktor Zeit beim Kunstschaffen nicht umgehen. Ich möchte keine Kompromisse bei meinen ­Kunstwerken eingehen, sondern sie so vollenden, wie ich es mir vorstelle. Egal, wie lange es dauert. Ich glaube, Großartiges schafft man nur, wenn man entsprechenden Einsatz bringt.

Wofür sind Sie als Künstler besonders dankbar?
Was ich wahnsinnig faszinierend finde, ist, auf welche Wege mich die Kunst führt. Kunst bringt Menschen zusammen. Ich habe viele neue Leute kennengelernt, woraus Freundschaften entstanden sind. Dadurch erhalte ich stetig neuen Input, Perspektiven und Einblicke, um meine geistige Datenbank zu erweitern. Das ist sehr wichtig. Ich habe das Glück, dass mir immer wieder großartige Künstler ihre Zeit schenken, die allesamt auf ein grandioses Lebenswerk zurückblicken können. Dafür bin ich ebenfalls sehr dankbar.

An welchen Moment Ihrer bisherigen Karriere werden Sie sich immer gerne zurückerinnern?
Meine erste Ausstellung Alice im Wunderland in den privaten Räumlichkeiten der Münchner Galeristin Sarah Kronsbein war ein großartiges Erlebnis. Wir wollten den Gästen die Natur näher bringen. Dazu haben wir unter anderem Fingerfood in Hummus gereicht, welches die Besucher:innen selbst ausgraben mussten. Die Reaktionen waren überwältigend. Als Künstler möchte ich nicht einfach nur ausstellen, sondern Sinn stiften. Daher bevorzuge ich langlebige Kooperationen statt kurzlebiger Ausstellungen.

Skulptur Influence 7 von Hermann Nachbaur: schwarze Büste mit orangefarbenen Dornen – gefertigt aus Messing und Bronze, inspiriert vom Art Déco
Influence 7 aus Messing und Bronze mit Art-Déco-Einfluss. | © Rudolf Nachbaur

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