Anna und Maria Ritsch sitzen neben einem ihrer Werke – ein intimes Fotomotiv mit femininer Körperdarstellung, aufgenommen in minimalistischer Galerieatmosphäre.

Ritsch Sisters

Feminismus trifft Form – wie die Ritsch Sisters ihre Perspektiven in eine gemeinsame Bildsprache verwandeln.

6 Min.

© Ritsch Sisters

Auch der große Teich kann nicht trennen, was zusammengehört. Anna Ritsch hat es vor Jahren von Dornbirn nach New York gezogen, ihre Schwester Maria Ritsch nach Wien. Und doch funktioniert die künstlerische Zusammenarbeit hervorragend. Trotz der Entfernung sind sie sich außergewöhnlich nah, diese starke Verbindung spürt man in ihren Bildern.

Für das Vorarlberger Künstlerinnen-Duo hat das nun schon fünfte Jahr ihrer artistischen Zusammenarbeit bereits fulminant begonnen. Im Januar 2025 eröffneten sie in der Vasto Gallery in Barcelona die große Einzelausstellung I Find Them Really Pleasant to Hold. Im Mai waren sie mit der Installation I am Fine im Künstlerhaus in Bregenz vertreten. Ein kleines Heimspiel. Auch hier war einmal mehr zu erkennen: Bei den Ritsch Sisters verschwimmen die Grenzen von klassischer Bildpräsentation und Installation. Die Art, ihre Werke zu zeigen, ist spielerisch explorativ und lädt Betrachter:innen dazu ein, selbst aktiver Teil der Installationen zu werden.

Weg von der Wand und räumlich erlebbar: Ihre Idee zur performativen Bildpräsentation entwickelten die Ritsch Sisters 2024 bei einer Residency in der Villa Clea in Mailand.

Together apart. Die Arbeitsweise der Künstlerinnen ist keine alltägliche, trennen sie doch seit 2009 fast 8000 Kilometer. Anna ist nach dem Fotografiestudium eigentlich nur zu einem dreimonatigen Praktikum nach New York City aufgebrochen. Daraus sind inzwischen 16 Jahre geworden. „Es hat sich einfach so ergeben“, lacht Anna. Die Kosmopolitin liebt die pulsierende kreative Stadt. Alles sei hier ein bisschen freier und man könne sich offen bewegen und einfach entfalten, schwärmt sie. Ihre vier Jahre jüngere Schwester Maria ging fürs Studium an der Akademie der bildenden Künste nach Wien und fand für sich hier eine neue Heimat. Zunächst begannen die beiden ihre fotografische Arbeit unabhängig voneinander. So unabhängig, wie zwei Schwestern, die sich beinahe blind verstehen, eben sein können, . Die Zusammenarbeit lag nahe. 2020 kurz vor dem Lockdown entschieden sich Anna und Maria, von nun an als Künstlerinnen- Duo aufzutreten. Maria und Anna haben die Not zur Tugend gemacht und ihr erstes Projekt online konzipiert, da sie sich während des Lockdowns nicht am gleichen Ort befanden. In The Act of Sitting, einer Ausstellung die bereits im Flatz Museum Dornbirn, im Künstlerhaus Bregenz, bei FOAM Amsterdam sowie in der Deutschen Börse für Fotografie in Frankfurt gezeigt wurde, setzen sich die Künstlerinnen mit der erzwungenen Zurückgeworfenheit auf das Sitzen auseinander. Dafür dokumentierten sie Menschen rund um den Globus, mit denen sie sich online vernetzten – mit vollem Erfolg.

Ideen ergeben sich organisch, sobald genug Freiraum zum Spielen da ist.

Kontraste. Zwischen Wien und New York zu pendeln, will auch in „normalen“ Zeiten gut geplant sein. Erstaunlich unbeeindruckt sind sie von der Frage, wie denn so eine global vernetzte Zusammenarbeit funktioniere. „Die Zeitverschiebung ist eigentlich super, ich kann oft schon an Sachen arbeiten und erledigen, wenn Anna noch schläft“, lacht Maria. Sie berichten positiv von den Vorzügen zweier Standorte. New York ist ein globaler Kunst-Hotspot und Anna betont erneut, wie ungezwungen Ideen sich hier entfalten lassen. Der Ausgangspunkt Wien hingegen erleichtert es wesentlich, die Ausstellungen in Europa zu managen. „Außerdem funktionieren die Produktion und der Druck unserer Werke hier schneller und einfacher“, meint Maria. Die beiden sind gut organisiert. Oft sehen sie sich länger an einem Ort. Für die Ausstellung in der Vasto Gallery haben sie sich etwa mehrere Tage in Barcelona getroffen, 2024 für eine Residency in Mailand. Klingt cool – ist es auch. „In unserer Zusammenarbeit entsteht eine besondere Konzentration. Wir teilen viele Themen und Denkweisen, und doch bringt jede von uns ihre eigene Realität mit. Diese Unterschiede fordern uns im Prozess heraus und bereichern unsere gemeinsame künstlerische Sprache.“

Provokantes Kunstfoto der Ritsch Sisters: Ein weiblicher Körper in roter Strumpfhose mit Ei – Symbol für Fragilität, Fruchtbarkeit und genderpolitische Aussagen.
© Ritsch Sisters

Verbundenheit. Es lässt sich schon am hier geläufigen Namen erahnen. Trotz der internationalen Karriere, welche die Ritsch Sisters in den letzten fünf Jahren erfolgreich gemeinsam aufgebaut haben, verbinden sie bodenständige Wurzeln – auch mit dem Ländle. Aufgewachsen sind sie Dornbirn. In einer, in ihren Worten, kunstaffinen Familie. Die Eltern haben sie schon früh zu allen möglichen Ausstellungen mitgenommen. Die spielerische Leichtigkeit, mit der sie sich ihrer Kreativität genähert haben, schätzen sie sehr. „Ideen brauchen Freiraum“, sagt Anna.

Sichtbar kontrovers. Wie so viele Künstlerinnen bemerken auch sie die leider immer noch große Diskrepanz der Geschlechter, besonders im Kreativbereich. Auch in der Auftragsarbeit, der sie gemeinsam oder solo nachgehen, zeigt sich diese Ungleichheit. Nach wie vor ziehen überwiegend Männer die großen Aufträge an Land. Auch wenn es schon einige positive Beispiele und Veränderungen gibt, sind wir als Gesellschaft doch noch weit weg von „fair“, betonen die Künstlerinnen. Anna bringt es mit einem Beispiel auf den Punkt: „Wenn ein Fotograf seine Kinder mit zum Set bringt, sind alle sofort begeistert, als wäre es etwas Außergewöhnliches, sich gut um sie zu kümmern. Wenn eine Fotografin das Gleiche tut, wird oft nur die Stirn gerunzelt.“ „Ich hoffe, dass wir als Frauen diese Situation im guten Umgang miteinander auf Dauer verändern können“, ergänzt Maria. Die reduzierte und oft leicht melancholische Bildsprache erzählt eine weibliche Sichtweise. In ihren Fotografien dürfen auch Männer zart und sensibel sein, diese Leichtigkeit wirkt befreiend. In der Zerbrechlichkeit und im Nahbaren liegt eine unglaubliche Power, sind die beiden überzeugt. Wiederkehrende Themen wie Fragilität, Fruchtbarkeit und auch das Ei als faszinierendes, immer gleich anmutendes, aber immer individuelles Objekt, ziehen sich durch ihre Bilder. Wie fallende Blätter verlassen diese den Rahmen an der Wand und wehen auf Stoffbahnen im Raum oder stehen fragil und nahbar mitten in der Galerie. Im Laufe ihrer Arbeit haben sie sich dem Performativen angenähert. „Es macht Spaß, zeitgleich an einem Projekt zu arbeiten. Wir haben ein ähnliches Mindset, aber unterschiedliche Blickwinkel“, beschreibt Maria die Praxis. Jeder individuelle Raum spielt eine entscheidende Rolle bei ihren Ausstellungskonzeptionen. Auch das macht die Kunst der Ritsch Sisters zu einem besonderen Erlebnis.

Ausstellungsansicht der Show I Find Them Really Pleasant to Hold in der Vasto Gallery Barcelona mit Werken der Ritsch Sisters – eine Mischung aus Fotografie und Objektkunst.
© Ritsch Sisters
Performative Installation der Ritsch Sisters: Projektionen von Augen treffen auf Objektkunst – der Raum wird zur Bühne für feministische Bildkompositionen.
Impressionen der Ausstellung I Find Them Really Pleasant to Hold in der Vasto Gallery in Barcelona. | © Ritsch Sisters

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