
„Accidental Manager“: Wenn man plötzlich zur Chefin wird
Über die Herausforderung, unfreiwillig Führungskraft zu werden.
© Kelly Sikkema / Unsplash
Du bist Chefin, ohne es eigentlich geplant zu haben? Dann zählst du zu dem Karriere-Phänomen „Accidental Manager“. Wir haben mit einer Expertin über die Herausforderung, unfreiwillig Führungskraft zu werden, gesprochen.
Plötzlich Chefin: Alles über das Karriere-Phänomen „Accidental Manager“
Viele kennen diese Situation womöglich: Du machst einen guten Job, arbeiten strukturiert und sind fachlich kompetent. Du unterstützt deine Kolleginnen und Kollegen und finden sich oft in der Lage, wichtige Aufgaben innerhalb Ihres Teams zu übernehmen. So schnell kannst du gar nicht schauen und plötzlich rutschst du unerwartet in eine Führungsrolle – ganz ohne Schulung oder Vorbereitung. Genau dann bist du ein sogenannter „Accidental Manager“. Du kennst zwar dein Unternehmen und dein Team gut, aber hast plötzlich eine leitende Rolle, ohne die notwendigen Führungskompetenzen zu besitzen, und vielleicht auch gar keine Motivation, ein Team zu leiten.
Das Phänomen des „Accidental Managers“ tritt mittlerweile immer häufiger auf. So zeigt etwa eine kürzlich veröffentlichte Studie des Chartered Management Institute (CMI) in Großbritannien, dass 82 Prozent derjenigen, die dortzulande in eine Führungsposition einsteigen, keine offizielle Management- und Führungsausbildung haben und somit „zufällig“ zu Managern werden. Eine Situation, die viele Herausforderungen, aber auch Chancen mit sich bringen kann. Zumindest dann, wenn sowohl Angestellte als auch das Unternehmen richtig damit umgehen.
Wenn der Zufall zur Führungskraft macht
„Ein Accidental Manager ist im Grunde eine Person, die nicht geplant hat, Führungskraft zu werden, sondern es ist zufällig passiert, also ‚accidental‘“, erklärt Elisabeth Proksch, die sich als Unternehmensberaterin auf Führungskräftecoachings spezialisiert hat. Oftmals geschieht das, weil eine Stelle plötzlich frei wird und das Unternehmen jemanden benötigt, der die Verantwortung übernimmt. Also wird intern nachbesetzt. Meist rutschen dann Personen in die neue Position, die bislang einen guten operativen Job geleistet haben und durch ihre Leistungen positiv aufgefallen sind.
Oft wird davon ausgegangen, dass diese auch einen guten Führungsjob machen. Dabei wird allerdings vergessen, „dass das zwei Paar Schuhe sind, nämlich zwei Berufe“, so Proksch. „Denn nur weil ich zum Beispiel ein guter Programmierer bin, heißt das noch lange nicht, dass ich auch eine gute Führungskraft bin.“ Im besten Fall hat man Glück und der Accidental Manger oder die Managerin „hat auch Führungsfähigkeiten und ein Gespür, mit Menschen umzugehen und sie zu befähigen, Leistungen zu erbringen“. Oft aber eben nicht.
35 % aller intern beförderten Führungskräfte scheitern.
(DDI Leadership Transitions Report 2021)
Herausforderungen der neuen Rolle
In solchen Fällen gilt es, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen, um den Herausforderungen der neuen Rolle gewachsen zu sein. Denn Accidental Managers stehen vor der Aufgabe, plötzlich nicht mehr nur für ihre eigene Arbeit, sondern auch für die Leistung eines gesamten Teams verantwortlich zu sein. Die Fähigkeit, Aufgaben effektiv zu delegieren, ist dabei entscheidend, weiß Proksch. Sie unterscheidet dabei zwischen dem sogenannten „Umsetzungsmodus“ und dem „Delegationsmodus“. Doch viele Menschen neigen dazu, sich selbst zu involvieren, anstatt anderen die Verantwortung zu übertragen. Denn die meisten von uns haben nicht gelernt, Aufgaben abzugeben, sich zurückzuhalten und andere dazu zu aktivieren, ihre To-dos zu erledigen.
„Das heißt nicht, dass ich nicht auch mal Unterstützung anbieten kann, aber nicht sofort und nicht automatisiert“, rät die Expertin. Gerade zu Beginn einer neuen Rolle in einer Führungsposition passiert oftmals ein unbewusster Wechsel zwischen dem Delegations- und dem Umsetzungsmodus. Dann ist es besonders wichtig, zu lernen, sich abzugrenzen und zwischen den beiden Modi zu differenzieren, um nicht zum Mikromanager zu werden. Schafft man es nicht, seine neue Rolle klar abzustecken, kann das schnell zu Überforderung und Unklarheit im Team führen, warnt Elisabeth Proksch. Ein weiteres Problem ist zudem die fehlende Vorbereitung auf die zwischenmenschlichen Aspekte der Führung. Konfliktmanagement, Rollenklarheit und eben die Fähigkeit, sich abzugrenzen, sind essenzielle Skills, die oft erst erlernt werden müssen.
Bin ich eine Chefin?
Doch wie erkennt man, ob man für eine Führungsrolle geeignet ist? Und kann man in diese Rolle auch als Accidental Manager hineinwachsen? „Ja!“, stellt Elisabeth Proksch klar. „Es gibt schon Menschen, die vielleicht nicht für Führungsrollen geeignet sind, aber grundsätzlich sind die notwendigen Fähigkeiten für viele Menschen lernbar“. In erster Linie geht es vor allem darum, bereit dafür zu sein, sich der neuen Aufgabe zu stellen und auch offen dafür zu sein, neue Dinge zu lernen und Führungskompetenzen aufzubauen. Es braucht zudem „Mut zum Gesichtsverlust“, so Proksch, denn als Führungskraft geht es auch darum, „Schwächen – unter Anführungszeichen – offen vor einem Team zu kommunizieren“, erklärt die Expertin.
Führungskräfte sind keine Superheroes!
Elisabeth Proksch
Das bedeutet zum Beispiel, dass man akzeptiert, dass man selbst in gewissen Bereichen fachlich nicht so bewandert ist, aber bereit dazu ist, die Aufgabe an jemanden aus dem Team abzugeben und damit in den Delegationsmodus überzugehen. „Führungskräfte sind keine Superheroes“, stellt Proksch klar und betont, dass die Kernkompetenz von leitenden Personen vor allem in der Fähigkeit liegt, ein „System zu steuern und Mitarbeiter zu ihrer Leistung zu bringen“. Hat man diese Entscheidung zum Rollenwechsel erst mal für sich getroffen, ist der erste Schritt zur guten Chefin schon getan. Um in eine ungeplante Führungsrolle reinzuwachsen, ist aber nicht nur das eigene Bewusstsein für die verschiedenen Herausforderungen der neuen Position wichtig, sondern in erster Linie vor allem die Unterstützung durch die Vorgesetzten besonders entscheidend.
Übrigens: Karriere zu machen bedeutet nicht automatisch, Führungsverantwortung übernehmen zu müssen. Mittlerweile gibt es auch viele neue Ansätze und Modelle, wie man Karrieresprünge auch ohne leitende Position vorantreiben kann, „wie etwa die Expertenkarriere, bei der Führungsaufgaben teilweise nur temporär, zum Beispiel als fachlicher Lead in einem Projekt, übernommen werden“, erklärt Proksch.
Coaching & Mentoring
Unternehmen können viel tun, um Accidental Manager in ihrer neuen Rolle zu unterstützen. Oftmals haben Unternehmen beispielsweise ein eigenes Mentoring-Programm, bei dem erfahrene Führungskräfte aus der eigenen Firma den neuen Managern und Managerinnen zur Seite stehen und sie auf ihrem Weg in die neue Rolle unterstützen. Externe Coachings und gezielte Führungskräfteentwicklungsprogramme sind ebenfalls wertvolle Hilfsmittel. Wichtig ist, dass die Unterstützung strukturiert und kontinuierlich erfolgt, um den neuen Führungskräften Sicherheit zu geben.
Auch Elisabeth Proksch bietet eigene Führungskräftecoachings an. Sie selbst hat dafür das sogenannte „Leading-Alpha-Programm“ entwickelt – Führungs- und Kommunikationstraining mit Pferden. Es ist eine Art „Konzept für Leadership, das wir uns im Grunde von den Pferden abgeschaut haben“, so die Unternehmensberaterin, und „eine Methode, bei der man sehr schnell sein Führungsverhalten gespiegelt bekommt“. Konkret geht es darum, mithilfe der Pferde herauszufinden: „Wie bringe ich andere in ihre Leistung, ihre Kraft? Wie bewege ich andere?“. Denn Pferde leben sehr gut vor, was gute Führung braucht und wie sie gelingen kann. Mithilfe der Tiere „lässt sich Führung zudem gut üben, da sie ideal Sparring-Partner sind“, erklärt Proksch. „Eine Pferdeherde zeigt uns darüber hinaus eindrucksvoll auf, wie wichtig männliche und weibliche Führungsqualitäten sind, um Wachstum und Fortbestand zu sichern“, so die Expertin.
Genau diese Strukturen lassen sich gut auf Unternehmen umlegen. In Gruppen- oder auch Einzelcoachings unterstützt die Unternehmensberaterin, die selbst jahrelang als Führungskraft in der Finanzbranche tätig war, Teams und Führungskräfte dabei, ihre Stärken und Schwächen herauszuarbeiten und ihre Rollen im Unternehmen klar zu definieren.
Zufall als Chance
Accidental Management mag auf den ersten Blick wie ein Sprung ins kalte Wasser wirken, doch es bietet auch die Möglichkeit, über sich hinauszuwachsen und neue Fähigkeiten zu entwickeln. Damit das gelingt, gilt es laut Elisabeth Proksch, drei wesentliche Dinge zu beachten und abzuklären: 1. Welche Erwartungen gibt es an mich und meine Führungsrolle? 2. Welche Unterstützung bekomme ich vom Unternehmen und fordere ich diese auch ein? Und 3. Welche Spielregeln und Rahmenbedingungen lege ich fest, damit ich gemeinsam mit meinem Team erfolgreich arbeiten kann? Denn mit der richtigen Unterstützung und einer Portion Selbstvertrauen können Accidental Manager und Managerinnen nicht nur ihre eigene Karriere vorantreiben, sondern auch ihr Team zu neuen Erfolgen bringen, um am Ende dann doch zumindest ein bisschen zum Superhero im Chefsessel zu werden!
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