
© Ian Ehm
Wie weit reichen die Fähigkeiten von künstlicher Intelligenz? Welche Art von Raum bleibt, wenn man ein Gebäude dekonstruiert, indem man dessen künstlerisches Konzept seziert? Visual Artist Claudia Larcher macht sich mit ihren Arbeiten auf an die Grenzen unserer Realität.
Wie kann man künstliche Intelligenz in künstlerische Arbeit einbinden? Seit einigen Jahren verfolgt Claudia Larcher diese Fragestellung. Der erste Berührungspunkt war genial simpel. Sie ließ ihr eigenes Werk von einer KI zur Präsentation arrangieren und stellte daraufhin einer zweiten KI die entscheidende Frage, welche die Menschen seit Jahrhunderten bei der Betrachtung von Werken beschäftigt: „Ist das Kunst?“
Kritische Collagen. Hinter die Funktionsweise von Konzepten zu blicken war immer schon die Herangehensweise der in Lustenau aufgewachsenen Künstlerin. Nach einer Ausbildung in Grafikdesign studierte die Wahlwienerin an der Universität für Angewandte Kunst und befasste sich in ihren Arbeiten zunächst mit einer intensiven Dekonstruktion von architektonischen Ideen. In ihren Werken hinterfragt sie künstlerische Theorien und deren Mehrwert im gesellschaftlichen Nutzen von Design. Aus diesen kritischen Überlegungen entstehen Collagen, Bilder und Videos, die Geschichten voll Ironie und Schönheit erzählen. Ihr abwechslungsreicher Rechercheansatz führte Larcher um die Welt. In Arakawa-ku, einem Stadtteil Tokios, begegnete sie der Funktionalität von Architektur in einer unbekannten Umgebung neu. Design sollte oft sinnvoller sein, ist die Künstlerin überzeugt. Die Selbstinszenierung vieler Kunstschaffenden führe oft zu Mangel an Funktion.

Gutes Design funktioniert für alle. Gerade Architektur und Alltagsgegenstände müssten viel mehr Diversität in ihren Anwendungen bewältigen, als sie in der Realität oft leisten. Und sollten auch marginalisierte Gruppen einschließen. Diese Idee ist viel banaler, als sie scheint, denn Design begegnet uns tagtäglich, überall. „In Japan bin ich im Baumarkt ausgeflippt vor Freude über die Designs der Akkuschrauber. Japanische Männer sind im Durchschnitt kleiner als in Europa, und da handwerkliche Hilfsmittel natürlich leider immer noch für Männer designt werden, auch in Asien, waren die Tools für mich viel handlicher als die europäischen Designs. Jetzt kaufe ich eben nur noch japanisches Werkzeug.“ Ihr gefalle auch die Theorie, dass man alle Architekt:innen dazu verpflichten müsste, ein Jahr lang in ihren eigenen Entwürfen zu wohnen. „Mit Sicherheit würden gleich sehr viel praktischere und sinnvollere Entwürfe entstehen“, lacht die Künstlerin.
Mich interessiert vor allem das AI Glitching, also Fehler, die von einer KI gemacht werden können und deren Potenzial, welches wiederum mit den eingespeisten Daten in Zusammenhang steht.
Risikofreudig. In den vergangenen Jahren wurde sie vermehrt für Lehrtätigkeiten und Vorträge angefragt, 2021 als Senior Lecturer an eine Universität berufen. Doch als Freigeist war sie schnell enttäuscht von der bürokratischen Trägheit. „Es hat mich erstaunt, mit wie wenig Aufwand ein regelmäßiges Gehalt auf meinem Konto eintraf, ungewöhnlich für mich als Kunstschaffende.“ Leider interessieren sich viele Lehrende daher schnell weniger für die Studierenden und eher für die eigene Verbeamtung, räsoniert Larcher. Dabei sollte die Lehre mehr dafür brennen, den „neuesten heißen Scheiß“ in die Unis zu holen. Doch in puncto Digitalisierung verschlafen diese derzeit leider den Fortschritt. Glücklicherweise ist die erfolgreiche Künstlerin in der privilegierten Lage, gut von ihrer Kunst leben zu können und die zeitintensive Lehrtätigkeit erwies sich eher als Ablenkung, von der sie sich wieder abgewandt hat, trotzdem hält sie noch hin und wieder Vorträge und nimmt an fächerübergreifenden Talks teil. „In manchen Kontexten, besonders Veranstaltungen oder Gremien, fühle ich mich leider auch oft noch wie die ,Quotenfrau‘ oder bin überhaupt oft die einzige Künstlerin – und dann gefällt es mir besonders, anzuecken.“ Den Studierenden gegenüber betonte sie stets: Kunst bedeutet Selbstständigkeit. Es sei wichtig zu wissen, wie man sich versichert, Förderungen beantragt und wie man an sich glaubt und mit Niederlagen umgeht. „Leider lernt man das nicht an der Uni.“ Es braucht Risikofreudigkeit in der Kunst, manchmal lässt die nächste große Ausstellung auf sich warten. „Eine gute Selbstvermarktung und die Fähigkeit, mit Unsicherheit umzugehen, sind im Kunstbetrieb ungemein entscheidend. Ich habe immer auf meine Kunst vertraut.“

AI Glitching. Besonders groß ist Larchers Interesse an der Digitalisierung unserer Realität. Während einer Residency in Sri-Lanka setzte sie sich intensiv mit der Beschreibung von Gefühlen in Form von Emojis auseinander. Für ihre Arbeit Face 2 Face entstanden dabei in Zusammenarbeit mit traditionellen Kunsthandwerker:innen surreale Masken, welche die Grenzen von Wirklichkeit und artifiziellem Raum verschwimmen lassen. Die Künstlerin in davon überzeugt, dass die große Problematik der KI darin liegt, dass der real vorhandene historische Input voller sozialer Missstände ist. Somit nimmt KI eine ungerechte Realität als Status quo und berechnet ihre Lösungsvorschläge unter dieser per se ungleich gewichteten Prämisse einer sozial mangelhaften Wirklichkeit.
Soziales Potenzial. Für die Fotoserie AI and the Art of Historical -Reinterpretation nutzt die Künstlerin KI, um bekannte historische Bilder zu überschreiben. Dabei werden Männer durch Frauen ersetzt, um die Darstellung von Frauen in historischen Kontexten sichtbar zu machen. Ziel ist es, die Trainingsdatensätze von KI-Modellen zu beeinflussen, um Frauen in zukünftigen KI-Generationen besser zu repräsentieren. Auch mit Still Life 3000 macht -Larcher eine Zeitreise mit femininer Kunst. Mit Hilfe von KI hat sie die anachronistisch collageartigen Stillleben der niederländischen Malerin Rachel Ruysch aus dem 17. Jahrhundert in die Zukunft übersetzt. Die Werkschau, die 2024 in der Galerie Lisi -Hämmerle zu sehen war, gastiert ab Juli 2025 im Brahaus in Clervaux. Klassische Stillleben porträtieren seltene und luxuriöse Objekte und Lebewesen. In -Larchers futuristischer Version entdeckt man zeitgenössischen Luxus und vom Aussterben bedrohte Materialien und Insekten.


Zukunftsvisionen mit KI. Derzeit kuratiert die Künstlerin eine Gruppenausstellung im Nirox Sculpture Park in Südafrika. Ihre aktuellste Arbeit -Extinction Stories, bei der sie erneut KI einsetzt, wird ab November im Recontemporary in Turin zu sehen sein. Wie würden Lösungen für eine Gesellschaft aussehen, wenn die KI ein faires Bild von ihr hätte? -Claudia Larchers Kosmos an revolutionären Ideen ist in ihren bildgewaltigen Werken zum Greifen nah. Die klugen Fragen, welche die Künstlerin an eine ungewisse Zukunft richtet, regen zum Nachdenken an und bieten schaurig schöne Ästhetik voll Humor und Weitblick.
